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Wir brauchen das vitale Zeugnis des diakonischen Tuns

Pf. Ulrich Lilie, Präsident der Diakonie Deutschland (Foto: Michał Karski)

 

Ein Gespräch mit Pf. Ulrich Lilie, Präsident der Diakonie Deutschland, darüber, wie die Diakonie in Polen die Diakonie in Deutschland inspirieren kann, wie das soziale Engagement der Kirchen in einem säkularisierenden Europa aussehen sollte, sowie über sozial-ökologische Transformation und andere Herausforderungen in naher Zukunft

 

Michał Karski: Diakonie Polen hat ihren Hauptpreis „Barmherziger Samariter“ 2022 an das Evangelische Werk für Diakonie und Entwicklung – Diakonie Deutschland, Brot für die Welt und Diakonie Katastrophenhilfe verliehen. Es ist eine Dankbarkeit für langjährige Partnerschaft im Bereich der Hilfe für Menschen in Not. Was bedeutet dieser Preis für Sie?

Ulrich Lilie: Dreierlei. Zum einen spricht mich schon der Name dieses Preises an. Denn neben den Werken der Barmherzigkeit nach Matthäus 25 stellt der Barmherzige Samariter sicherlich am besten dar, für welche Haltung Diakonie steht, besonders in seinem Schlusssatz: „So gehe hin und tue desgleichen.“ Zum anderen freue ich mich außerordentlich, dass alle drei Marken unseres Hauses gleichberechtigt geehrt wurden. Denn seit nun zehn Jahren arbeiten wir mit unterschiedlichen Schwerpunkten unter einem Dach zusammen. Und schließlich steht dieser Preis auch für unsere nun so vielfältig gewachsenen Beziehungen. In stürmischen Zeiten fahren die Diakonie in Polen und Deutschland in einem Boot.

Diakonie Polen erfährt seit Jahren große Unterstützung von deutschen diakonischen Partnern – nicht nur bei der Finanzierung konkreter Projekte, sondern auch beim Erfahrungsaustausch und bei der Beratung. Auf Ihrem Blog schreiben Sie, dass Diakonie in Deutschland viel von der Diakonie Polen und evangelischen Kirche in Polen lernen kann. In diesem Zusammenhang schreiben Sie: „Die Diakonie Polen denkt mit ihrer Kirche europäisch, weit über den nationalen Tellerrand hinaus, sie verknüpft Gemeinde-, Diözesan- und Verbandsdiakonie und wird als Teil der Zivilgesellschaft aktiv, sie lebt und pflegt ökumenische Partnerschaften.“ Alle diese Elemente sind aber auch in der diakonischen Arbeit in Deutschland präsent. Wie kann die polnische Erfahrung für euch besonders inspirierend sein?

Der Protestantismus in Polen und damit seine Diakonie erfährt schon seit Jahrzenten, was es heißt, in einer Minderheiten- und Diasporasituation zu sein. Auch in Deutschland bekommen wir es derzeit mit einer solchen Situation zu tun und wir werden auch auf absehbare Zeit eine Minderheit bleiben. Von der polnischen Kirche und Diakonie können wir lernen, herausfordernde Gegebenheiten nicht nur anzuerkennen, sondern als Chance für Neues und als Auftrag zu Wirksamkeit zu verstehen. Wofür sind wir da? Wohin wollen wir uns bewegen? Wohin stellt uns die Botschaft des Jesus von Nazareth heute in unserer Situation?

In welchen Bereichen können die Diakonie in Polen und Deutschland in naher Zukunft zusammenarbeiten?

Polen und Deutschland sind zwei große Länder in Zentraleuropa. Aktuell arbeiten wir bei der Bewältigung der Not der geflüchteten Menschen aus der Ukraine engagiert und hoch professionell zusammen. Ich bin sehr beeindruckt, wie engagiert die relativ kleine Kirche und Diakonie in Polen hier jeden Tag ihr Bestes geben. Auch bei dem Thema „Fair Care“ in Europa gibt es bereits eine sehr gute und bewährte Zusammenarbeit. Uns beschäftigt angesichts des Klimawandels, wie wir unsere Diakonie nachhaltig umbauen können. Eine gerechte Gestaltung der sozial-ökologischen Transformationen auch in globaler Perspektive ist sicher eine wichtige gemeinsame Zukunftsaufgabe.

Die Diakonie in Deutschland hat viele ausländische Partner. Gibt es Erfahrungen, die es wert wären, auf die Zusammenarbeit mit der Diakonie Polen zu übertragen?

Unbedingt! Die Minderheitensituation und Säkularisierung prägt auch die Arbeit der Diakonie in Österreich, Tschechien oder Frankreich. Eine gemeinsame europäische Antwort auf die Herausforderungen der sozial-ökologische Transformation sollten wir mit den unterschiedlichen Perspektiven und Erfahrungen mit unseren Büros in Brüssel und Eurodiaconia abstimmen. Auch hier können wir voneinander lernen. Ein Blick über den nationalen Tellerrand ist immer hilfreich. Exemplarisch kann man sich anschauen, wie die Waldenser in Riesi/Sizilien der dortigen Armut begegnet sind und zugleich Korruption und organisierte Kriminalität bekämpft haben. Vorbildlich. Oder wie in Oslo/Norwegen ein ganzer Stadtteil komplett nachhaltig geplant und erstellt wird.

Anlässlich ihres 175-jähriges Jubiläum führt die Diakonie Deutschland die Kampagne #ausLiebe durch. Sie zeigt ihre Tätigkeitsfelder und die damit verbundenen Herausforderungen: Armut und Obdachlosigkeit, Beratung und Seelsorge, Familie und Frauen, Flucht und Migration, Freiwilliges Engagement und Freiwilligendienste, Hilfe bei Krankheit, Hospizarbeit und Palliativversorgung, Inklusion und Teilhabe für Menschen mit Behinderung, Kinder- und Jugendhilfe, Pflege und ältere Menschen. Was wollen Sie mit dieser Kampagne besonders erreichen?

Gemeinsam wollen wir neu entdecken, wie facettenreich die „rettende Liebe“ ist, von der Johann Hinrich Wichern am 22. September 1848 in seiner berühmten Rede auf dem Evangelischen Kirchentag in Wittenberg sprach. Im Sinne des Barmherzigen Samariters elementarisiert diese Kampagne ganz stark. Die Menschen werden durch die Bildmotive und durch die spannungsvollen Kernsätze überrascht sein, die auf den Plakaten der Kampagne abgebildet sind. Wir richten uns nicht an die „Kerngemeinde“, sondern an die 80 Millionen Menschen in Deutschland, von denen wir derzeit etwa 10 Millionen stetig erreichen – immerhin! Dabei gewinnen die Präsenzen auf Social Media immer mehr Bedeutung. Und wir haben eine ganze Reihe von Ereignissen im Laufe des Jahres: Eine Zeit des Gedenkens an Schuldverstrickungen, einen Historikerkongress, den Kirchentag im Juni in Nürnberg und einen Zukunftskongress in Leipzig im November.

Welche neuen sozialen Herausforderungen können in naher Zukunft zu wichtigen Tätigkeitsbereichen der Diakonie werden?

Gerade sind neue Zahlen zur Kinderarmut in Deutschland erschienen. Jedes fünfte Kind lebt in relativer Armut, in den Städten sogar jedes vierte Kind. Damit dürfen wir uns nicht abfinden – es braucht eine nationale und eine europäische Initiative, die Soziale Teilhabe, Gesundheit und Bildungsgerechtigkeit für Kinder in den Mittelpunkt der gemeinsamen Anstrengungen stellt. Aber auch die wachsende Zahl älterer Menschen sollen selbstbestimmt und gut unterstützt alt werden können. Es gilt die Einwanderungsgesellschaft Deutschland wirklich inklusiv zu gestalten. Manche Regionen und Mittelzentren in Deutschland sind ländlich geprägt, die Bevölkerung dort schrumpft, hier geht es um Erhalt einer gesundheitlichen Infrastruktur und immer noch digitaler Zugänge. Halbwegs gleichwertige Lebensverhältnisse im Land zu schaffen ist eine wichtige Aufgabe, wenn die Zustimmung zur Demokratie sich nicht mehr von selbst versteht. Als Folge des demografischen Wandels haben wir ein großes Problem in der Gewinnung von geeigneten Fachkräften. Und in einer immer vielfältiger werdenden Gesellschaft gehen auch die Vorstellungen von einem guten Leben immer weiter auseinander, vor diesem Hintergrund suchen wir bei wichtigen ethischen Fragen etwa rund um einen Schwangerschaftsabbruch oder eine Suizidassistenz um einen tragenden ethischen Konsens.

Wie sollte das soziale Engagement der Kirchen heute in einem säkularisierenden Europa aussehen?

In den Kirchen und ihren Diakonien gibt es sehr viele Potentiale und noch nicht ausgeschöpfte Synergien, etwa bei der gemeinsamen Wahrnehmung von Verantwortung mit den immer unterschiedlicher werdenden Menschen in immer unterschiedlicher werdenden Quartieren und Sozialräumen für ein gelingendes Zusammenleben und die Gestaltung eines fairen Miteinanders. Wir können noch viel mehr voneinander lernen und gemeinsam gestalten. Es gilt aus den Silos und dem versäulten Nebeneinander herauszufinden und ein an den Potentialen und Bedarfen der Menschen orientiertes, kohärenteres und vernetztes Handeln zu entwickeln. Das wäre ein überzeugendes gemeinsames Christuszeugnis in einer immer vielfältiger und säkularer werdenden Umwelt. Da kann eine leere Dorfkirche zu einem lebendigen diakonischen Mehrgenerationenhaus werden. Da entwickelt sich das Profil einer Kirche im Bahnhofsviertel von Frankfurt am Main sowohl zu einer Kulturkirche wie zu einem Zentrum der engagierten Arbeit mit Wohnungslosen aus ganz Europa. Da fährt der Kältebus der Stadtmission durch Berlin und Ehrenamtliche aus den unterschiedlichsten sozialen und kulturellen Milieus arbeiten engagiert mit.

Die Haltung des Barmherzigen Samariters spricht für sich selbst, sie ist Zeugnis. Und dieses Zeugnis ist selbsterklärend in einer Gesellschaft, in der sich die Menschen nicht mehr an klassischen Institutionen und deren Sinnangeboten orientieren. Selbst wenn Menschen meinen, dass sie nicht glauben, selbst wenn sie „religiös unmusikalisch“ sind, werden sie die Werke der Barmherzigkeit immer hochschätzen. Mitfühlen und Mithandeln – das liegt in der conditio humana und das hat gerade die polnische Bevölkerung und seine Diakonie in diesem Krieg und dieser Flüchtlingswelle wieder so überzeugend gezeigt. Das Böse von irregeleiteten Autokraten scheinen wir nicht einfach abstreifen zu können – davon schreiben schon die Psalmen – aber das rettende Gute besitzt eine wachsende, stille und Hoffnung stiftende Macht, mit der wir rechnen dürfen. Mitten in dieser Welt begegnet uns der Christus – eben nicht nur in der Kirche und unseren Gemeinden. Auch damit sollten und dürfen wir rechnen. Deshalb brauchen Gesellschaften die „Mutmacherbotschaft“ der Bibel und genauso das vitale Zeugnis des diakonischen Tuns. Im konkreten Sozialraum, vor Ort und im Zusammenleben mit den Menschen bewährt sich unser Christsein.

(diakonia.org.pl, Februar 2023)